Auf den Spuren der Salzkarawanen im Niger – Vom Tschadsee in die Ténéré

Durchquerung des Großen Ergs von Bilma (von Ralf Beck; alle Rechte vorbehalten)

Der Niger, südlicher Anrainerstaat zu Algerien, bietet dem abenteuerlustigen Sahara-fahrer alles, was dessen Herz höher schlagen lässt: traumhafte Dünen- und Felsland-schaften, unberührte Regionen und beeindruckende Offroad-Erlebnisse. Ein Land, in welchem Mensch und Maschine die eigene Leistungsgrenze zwangsläufig aufgezeigt wird. Undurchsichtige Macht- und Regierungsverhältnisse, typisch afrikanischer Paragrafendschungel, allgegenwärtige Forderungen nach „Bakschisch“ und „Cadeaux“ seitens der Behörden und der Bevölkerung und nicht zuletzt latente Überfallgefahren in den scheinbar rechtsfreien Regionen der offenen Sahara belasten die mitteleuropäische Psyche. Lange Distanzen zwischen menschlichen Ansiedlungen, geringe Bevölkerungsdichte in den Sahararegionen ohne infrastrukturelle Ordnung und Versorgung, ständige „Breakdown“-Gefahr auf den einsamen und teilweise fahrtechnisch schwierigen Etappen stellen Ausrüstung und Material auf eine harte Bewährungsprobe. Nicht zuletzt aufgrund dieser Komponenten wird der Niger als Individualreiseland nur erfahrenen und versierten Saharafahrern empfohlen. Dies gilt insbesondere für die nachstehend beschriebene Etappe der Durchquerung des Großen Ergs von Bilma.

N´Guigmi ist die erste Stadt auf dem Hoheitsgebiet des Niger, wenn man die Route nördlich des Lac Chad zur Einreise wählt. Hier sind alle Formalitäten zum legalen Grenzübertritt zu erle-digen. Polizei und Zoll liegen am jeweils anderen Ende des Ortes; dazwischen ein Markt, Bars und Kneipen und viele aufdringliche Einwohner. Das schmale, schlaglochübersähte Asphaltband und die vielen Menschen auf der Straße erlauben nur langsames Fahren zwischen den beiden Behörden. Eine funktionierende Tankstelle oder eine Bank sucht man vergebens: getankt und getauscht wird auf dem Schwarzmarkt. Oder man verlässt N´Guigmi auf dem schnellsten Weg Richtung Westen, um alle Vorräte im Regionalzentrum Zinder im Zentralniger, etwa eine Tagesreise entfernt, aufzufüllen. N´Guigmi aber ist gleichzeitig der südliche Einstieg in eine der schwierigsten Saharapassagen und somit für uns zwangsläufig Einreise- und Versorgungszentrum zugleich.

Die Behandlung bei der Polizei ist freundlich und zuvorkommend. Die erforderlichen persönlichen Daten werden erfasst und im „Großen Buch“ verewigt. Kosten- und Gebührenfrei. Nach weniger als einer halben Stunde ist die Prozedur überstanden. Der Zoll ist am mitgeführten Inventar und der Fahrzeugausrüstung nur mäßig interessiert. Viel wichtiger scheint die Bezahlung der Einreisegebühren in Höhe von 4.500 CFA (ca. 8 Euro) für unsere vierköpfige Familie. Ein Betrag, um den es nicht zu Feilschen lohnt, obgleich er eher willkürlich erhoben zu sein scheint. Dafür gibt es dann eine simple Quittung. Das Carnet wird eingestempelt und angesichts des offensichtlichen Chaos in unserem Geländewagen auf eine Sichtung des Fahrzeuginneren verzichtet.

Ein inoffizieller Mitarbeiter des Zolls bietet sich an, eine Geldwechselstelle zu vermitteln und 150 Liter Treibstoff für den nächsten Morgen zu organisieren. So können wir uns noch am Abend mit den getauschten CFA-West ein Bierchen in der gegenüberliegenden Kneipe gönnen und im Schutze des Zollhofes unsere weiteren Reisepläne fixieren. Am frühen Vormittag finden wir uns wie besprochen am Rande des Marktes ein, um den versprochenen Diesel aufzutanken. Mit verschiedensten Behältnissen bewaffnet warten bereits ein halbes Dutzend Menschen auf unser Eintreffen. Unser Mann vom Vorabend organisiert den Tankvorgang. Literweise fließen undefinierbare Flüssigkeiten durch den Einfüllstutzen in den Tank, während auf der anderen Seite des Fahrzeuges Halbwüchsige versuchen, die Befestigungsgurte der Sandbleche zu lösen. Total verschreckt sitzen unsere Kinder im Fahrzeug und trauen sich nicht, das Fenster auch nur einen Spalt zu öffnen. Die Stimmung ist unfreundlich, fast schon als aggressiv zu bezeichnen und wir verlieren so langsam den Überblick über die Geschehnisse rund um unser Auto. Unser Mann vom Zoll hat inzwischen das Sieb aus dem Einfüllstutzen entfernt, um den Betankungsvorgang zu beschleunigen. So fließen die letzten etwa 50 Liter ungefiltert ins Reservoir. Immerhin stimmt am Ende das geforderte Entgelt für den Treibstoff. Schnell sichern wir alle Ausrüstungsgegenstände, starten den Motor und brausen davon. Wir lassen uns den Einstieg auf die Piste nach Bilma zeigen. Am Ortsende empfängt uns die Sahara mit einer einspurigen, tiefsandigen Fahrrinne. Aber die Menschen sind weg. Wir atmen auf.

Die Orientierung auf den ersten 100 Kilometern ist einfach. Die tief ausgefahrene Spur ist nicht zu übersehen, sofern sie überhaupt ein Verlassen erlaubt. Man fährt fast wie auf Schienen. Rechts und links der Piste steht Busch- und Baumwerk. Es ist verhältnismäßig Grün hier. Eine Ziegenherde kreuzt unsere Trasse. Die letzten Nachzügler der Herde überqueren die Piste vor uns. Wir können die Geschwindigkeit nicht reduzieren, laufen sonst Gefahr, gnadenlos einzusanden. Ein Ausweichen ist ebenso unmöglich, da sich die Spur immer mehr verengt. Diese Umstände werden dem letzten Tier der Herde zum Verhängnis. Das rechte Vorderrad überrollt den Ziegenbock, der uns unmittelbar vor das Auto gesprungen war. Die Kollision war kaum spürbar und wir setzen unseren Weg unbeirrt fort. Auf eine Diskussion mit einem sicherlich in der Nähe befindlichen Hirten wollen wir uns nicht auch noch einlassen. Doch nach wenigen weiteren Metern Fahrt kommt das Ende ziemlich abrupt. Der Vorderreifen ist luftleer und gerade im Begriff, sich von der Felge zu lösen. Jäh kommen wir zum Stillstand und ich betrachte verzweifelt den etwa 10 Zentimeter langen Riss in der Karkasse des Reifens. Wie hat die Ziege das nur geschafft ?? Das Aufbocken des Toyotas gestaltet sich im Tiefsand als schwieriges Unterfangen. Zunächst muss ein tiefes Loch gegraben werden, um den Wagenheber und verschiedene Holzkeile unterstellen zu können. Langsam hebt sich die Vorderachse und der defekte Reifen in die Luft und das Rad wandert im Tausch in die Aufnahme an der Hecktür. Nach kurzer Zeit setzen wir unseren Weg fort. Das ist noch mal gut gegangen.

Gut eine Stunde später oder etwa 20 Kilometer weiter erleiden wir unsere zweite Panne. An einem kurzen sandigen Aufstieg verweigert das Auto plötzlich seinen Dienst und bleibt ziemlich unmotiviert stehen. Der Motor brummelt zwar weiterhin gesund im Stand, die Drehzahl will aber trotz Vollgas partout nicht steigen. Was ist das ?? Ich tippe zunächst auf eine unzureichende Luftzufuhr, öffne und reinige den Zyklon und den Luftfilterkasten samt Inhalt. Trotzdem kommt der Motor nicht auf Touren. Bei durchgedrücktem Gaspedal stottert und röchelt das Triebwerk und stirbt kurzerhand ab. Motor aus ! Jetzt fällt es uns wie Schuppen von den Augen: der ungefilterte und möglicherweise auch verdünnte Treibstoff aus den vielen Kanistern und Behältern der Einwohner von N´Guigmi hat die beiden Treibstoffilter verstopft. Mühsam erklimmen wir den Sandhügel, nachdem sich nach einigen Minuten im Stand wieder genügend Diesel den Weg durch die zugesetzten Filter hat bahnen können. Mit viel Gefühl für das Gaspedal und einem offenen Ohr für die Geräusche des Motors schleppen wir uns bis in das letzte Dorf vor dem Beginn der Einsamkeit der Wüste. Wir erreichen den Gendarmerieposten von N´Gourti im Licht der untergehenden Sonne.



Die Polizisten beäugen das einzeln ankommende, lahmende Touristenfahrzeug mit Skepsis. Unser Ansinnen, die Nacht in den Mauern des Postens verbringen zu dürfen, wird dem Stationsobersten vorgetragen und befürwortet. So fahren wir auf das gesi-cherte Gelände ein und plazieren uns unter einem großen Baobab. Wir sind nicht die einzigen Reisenden im Camp. Wenige Meter entfernt steht ein alter Toyota FJ45, dessen beste Zeiten mindestens ein Jahrzehnt zurück liegen müssen. Die drei Locals  sind gerade im Begriff, einen defekten Schlauch instand zu setzen und wir helfen bereitwillig mit Flicken und Klebstoff aus. Dann wenden wir uns der Reparatur unseres Toyotas zu. Die beiden Dieselfilter sind im Nu ausgewechselt und schon bald schnurrt der Sechszylinder wieder fröhlich vor sich hin. Der Reifenwechsel gestaltet sich als etwas zeitaufwendiger. Der lange Karkassenriss scheint nur schwierig abdichtbar; einen Schlauch wollen wir aber zu diesem Zeit-punkt noch nicht einziehen. So verpassen wir dem defekten Reifen ein riesiges Pflaster aus Gummi und Zementkleber und er wandert im Tausch „alt gegen neu“ auf das Fahrzeugdach. Der neue Pneu will zunächst nicht auf die Felge passen und es bedarf der tatkräftigen Mithilfe von Frau und Kindern, den widerspenstigen Reifen zu bändigen. Mit Hilfe eines Fahrradschlauches werden die Luftritzen zwischen Felge und Karkasse abgedichtet und dank des „Zündkerzenkompressors“ aus dem FJ45 ist innerhalb von Minuten ein mit 3 Bar gefülltes, vollständiges Ersatzrad einsatzbereit.

Am abendlichen Lagerfeuer tauschen wir uns mit den Gendarmeristen und den Locals aus. Letztere hatten gerade die Strecke aus Bilma hinter sich gebracht und sind auf der Weiterreise nach Süden. Wie bereits im Zollhof von N´Guigmi zerschlagen sich unsere Gedanken an adäquate Mitfahrer für die Ergdurchquerung auch hier bereits innerhalb weniger Minuten. Die Einheimischen sind von unserem Ansinnen, den Erg in einer Solofahrt zu durchqueren nicht gerade begeistert, schätzen aber die auf uns zu kommenden Schwierigkeiten in den Dünen als durchaus machbar ein und legen sich auf eine theoretische Fahrtzeit von 3-4 Tagen fest. Mit Händen und Füßen, ein paar Brocken Arabisch und Französisch von jeder Seite, einem Stock und einer auf den Boden gemalten Landkarte erklären uns die Locals anhand des Zeitplanes den Weg nach Bilma, definieren Ein- und Ausfahrten in den Dünen, Passagen, beschreiben markante Punkte, Oasen, Brunnen und die dortige Wasserqualität. Wir saugen all diese Informationen dankbar auf und machen uns entsprechende Notizen. Die Gendarmen ergänzen diese Informationen und unterrichten uns über derzeitige Karawanenbewegungen zwischen Bilma und N´Guigmi. Deren Informationen zufolge müssen wir am ersten, dritten und vierten Tag auf je eine Karawane treffen. Wir übergeben dem Stationsführer eine Liste mit all unseren persönlichen Daten. Er sichert uns eine polizeiliche Suchaktion zu, sofern wir uns nicht binnen sieben Tagen bei der Gendarmerie in Bilma wieder anmelden. All diese Informationen und Aussichten zerstreuen die Zweifel und festigen unseren Entschluss, diese Solofahrt zu wagen. Am darauffolgenden Tag nehmen wir die ersten sandigen Meter Richtung Norden in Angriff.


Das zweispurige Band durch den Sand ist nicht zu verfehlen. Nach ein paar Kilometern stoßen wir in der flach hügeligen Landschaft auf einen weiteren Weg. Die Spuren verteilen sich nahezu gleichmäßig auf die beiden Trassen. Wir wählen den linken Strang in der Annahme, die Piste nach Nordnordost stellen die nördlichste Umfahrung des Tschadsees dar und führt uns zwangsläufig zurück in den Tschad. Wenig später treffen wir auf zwei Einheimische, welche mit ihren Kamelen in Richtung N´Gourti unterwegs sind. Eine kurze Frage und wir müssen feststellen, auf der falschen Piste zu sein. Dieser Weg führt uns zum Massif Termit. Sicher auch ein lohnenswertes Ziel, aber derzeit streben wir die Hauptrichtung Bilma an. Also kehrt gemacht und an der Kreuzung angekommen biegen wir nun auf die richtige Spur ein. Die Piste führt uns direkt zum ersten auf der Michelinkarte eingezeichneten Brunnen. Wir rasten und ergänzen unsere Wasservorräte um ein paar wenige Liter. Die Fahrzeugspuren enden hier und es beginnen die angekündigten Sandebenen. Die noch leicht hügelige Landschaft wird immer flacher und der leichte Bewuchs, welcher uns die erste Zeit begleitet hatte, weicht dem Sand. Mit jedem weiteren gefahrenen Kilometer verringert sich die Anzahl von Navigationshinweisen. Wir halten uns nordwärts und treffen auf einen weiteren Brunnen. Hier lagert die erste uns angekündigte Karawane. Auch hier fassen wir ein paar Liter verbrauchten Wassers. Mit Bleistift und Lineal bewaffnet messe ich den Ort Agadem auf der mitgeführten russischen Generalstabskarte, Maßstab 1:500.000, ein. Die Koordinate gebe ich in das GPS-Gerät ein und wir erhalten somit wenigstens eine Navigationshilfe in der nun eintönigen und flachen Land-schaft. Für die nächsten wenigen Kilometer können wir noch den Kamelspuren der Karawane folgen. Dann verschwinden auch diese. Der leichte Wind macht die Tracks innerhalb kürzester Zeit unsichtbar und wir haben das Gefühl, über unberührte Sandfelder zu fahren. Wir halten uns nun an die Richtung, welche uns der Pfeil des GPS vorgibt. Die Fahrt ist flott, der Sand trägt unseren Toyota und erlaubt Geschwindigkeiten über 80 km/h. Der Horizont wird in allen Richtungen durch einen waagrechten Strich dargestellt. Das Azurblau des Himmels und das matte Gelb der Erde grenzen sich voneinander ab.

Nach über 100 Kilometern erblicken wir erstmals wieder Fahrzeugspuren. Der Sand wird weicher und wir reduzieren den Luftdruck nochmals um ein halbes Bar. Die Spuren verlaufen in unsere Richtung. Dort, wo die Spuren tief sind, lauern weiche Passagen. Wir versuchen, uns parallel zu den sichtbaren Reifenabdrücken zu halten und fahren uns prompt auf einer Ebene fest. Die Sandbleche kommen zum Einsatz. Nach etwa 20 Metern haben wir wieder festen Untergrund unter den Rädern. Es ist eine schweißtreibende Angelegenheit und wir entschlie-ssen uns, am nächsten lohnenswerten Platz unser Nachtlager aufzuschlagen. Am Horizont tauchen langsam wieder Konturen auf. Erhebungen, kleine Dünengürtel und Berge. Wir halten darauf zu und finden im Schutz einer isoliert stehenden Dünenkette ein nettes Plätzchen zum Übernachten.

Unsere Tagesleistung beträgt weit mehr Kilometer als erwartet und wir sind stolz, bereits ein gutes Drittel des gesamten Weges hinter uns gebracht zu haben. Unseren Kindern kommt die frühe Rast in dieser übersichtlichen Landschaft zugute. Der Ball wird ausgepackt und die Beiden können nach Herzenslust klettern, rennen und springen. Nach dem Abendessen entfachen wir ein kleines Feuer mit dem wenigen Holz, welches wir noch aus N´Gourti mitgenommen haben. Der Wind ist abgeflaut und wir geniessen die erste Nacht seit langer Zeit in der Stille und Einsamkeit der Sahara. Das milde Februarklima sowie der sternenklare Himmel lassen uns lange sitzen und unseren Gedanken nachhängen. Erst als die letzte Glut des Feuers erloschen ist und wir zu frösteln anfangen, ziehen wir uns zur Nachtruhe in das Fahrzeug zurück.

Noch am frühen Vormittag ist Fort Agadem erreicht. Eine Ansammlung von Palmen, die spärlichen Ruinen eines Kolonialforts und ein Brunnen mit unangenehm brackig schmeckendem Wasser. Plötzlich stehen ein paar Menschen vor uns und geleiten uns zu deren Strohhütte, welche etwas abseits steht. Wir werden zum Tee geladen und können diese Einladung nicht ausschlagen. Eine Stunde lang verweilen wir in der Gesellschaft der Nomadenfamilie. Dann geht es endlich weiter. Die wenigen Fahrzeugspuren, die nun im Bereich der Oase wieder erkennbar sind, zielen alle nach Norden auf eine große Düne zwischen zwei Felsen zu. Das scheint die Ausfahrt zu sein, auf welche die Locals in N´Gourti besonders hingewiesen haben. Wir wurden immer wieder ermahnt, diesen auf den ersten Blick schwierigsten Weg nach Norden zu wählen, um so andere Dünengürtel zu umfahren. Wir vertrauen auf die Worte und steuern den sandigen Anstieg an. Wenige Augenblicke später stehen wir hoch oben auf der Düne und blicken hinunter nach Agadem. Vor uns tut sich eine weitere Sandautobahn auf und wieder einmal brausen wir, die nächste eingemessene Koordinate ansteuernd, über eine konturlose Ebene. Wenige Kilometer vor Dibella, der nächsten Oase mit Brunnen, überholen wir eine weitere kleine Karawane, die unbeladen in unsere Richtung zieht. In der verlassenen Oase selbst suchen wir kreisförmig ausschwärmend den eingezeichneten Brunnen. Die Karawane kommt wieder in Sichtweite, schwenkt kurz vor der aufgelassenen Palmerie ab und steuert zielsicher einen ausserhalb liegenden, von Dünen umrahmten Punkt in einer Senke an: den Brunnen !


Die auf der Michelinkarte verzeichnete Piste beginnt etwa 50 Kilometer nördlich von Dibella schlangenlinienförmig auszuschwenken. Die in der Karte nur grob eingezeichneten Dünenverläufe bekommen plötzlich eine klare Hauptverlaufsrichtung genau gegen unsere Fahrtrichtung. Auch in der russischen Generalstabskarte vermehren sich die Dünenzüge mehr und mehr auf dem Weg nach Norden. Verschiedene Pistenvarianten sind mit schmalen Linien eingezeichnet. Als wir am 18. Breitengrad ankommen und die Anschlusskarte hervorkramen, verschlägt es uns bereits beim ersten Blick darauf die Sprache. Die Landschaft beginnt, sich zu verändern. Und genau in diesem Augenblick bekommen wir das auch in der Realität zu sehen und zu spüren. Die ersten Dünenzüge versperren uns den Weg und müssen überquert werden. Jede Dünenpassage stellt eine neue Herausforderung dar. Die Dünen sind in der Höhe leicht zu meistern. Auch die Passagenbreite beträgt regelmäßig weniger als 100 Meter. Schwierig sind die in den Passagen oftmals versteckt liegenden, steil abbrechenden Trichter sowie die unstrukturierte Verschachtelung der Dünen. Auf der Suche nach einer Unterbrechung innerhalb des Dünengürtels fahren wir mehrfach einige Kilometer an den Dünen entlang. Jedes Mal müssen wir feststellen, dass die Dünenzüge unendlich zu sein scheinen. Daher reift schnell der Entschluss, die Passagen ab sofort nahezu rechtwinklig und auf dem kürzesten Weg anzufahren und zu überqueren. Der Vorteil des Sparens von Treibstoff überwiegt den Nachteil des zeit- und kraftaufwendigen Abgehens der Passagen. Nach dem ersten Dutzend Dünenüberquerungen stellen wir japsend die Wanderungen über die Dünenkämme  ein und fahren nun direkt drauf los. Nach jeder Dünenpassage erwartet uns eine mehrminütige Verschnaufpause, in welcher die mehrere hundert Meter breiten, auto-bahnähnlich anmutenden  Gassis überquert werden. Dann folgt die nächste Passage.

Übung macht den Meister. Dieses Wechselbad von steigendem und sinkendem Adrenalinspiegel wiederholt sich dutzende von Malen, bis wir am frühen Abend an einer Dünenpassage anhalten und damit das „Achterbahntrauma“ für einige Zeit einstellen. Während ich beim Einmessen unserer Position in die Karte feststelle, dass wir auf unserem Weg nach Zoo Baba zu weit nach Osten abgekommen sind und uns jenseits der eingetragenen Pisten befinden, zieht die dritte angekündigte Karawane etwas weiter westlich an uns vorbei. Alle Prophezeiungen der Einheimischen in N´Gourti scheinen sich zu bewahrheiten: die Brunnen führen Wasser, die Strecke ist fahrtechnisch machbar, wobei der Schwierigkeitsgrad auf den letzten 200 Kilometern erheblich steigt und den angekündigten Karawanen sind wir bereits begegnet. Fragt sich nur noch, ob wir auch wirklich in Bilma von der Gendarmerie erwartet werden? Wir werden es sehen, vielleicht Morgen schon. In der Nacht schlägt das Wetter um. Der Wind frischt auf und die Sicht ist am frühen Morgen auf ein paar hundert Meter reduziert. Das Blau des Himmels der letzten Tage ist einem undefinierbaren Grau-Gelb gewichen, die Sonne steht wie eine matte Scheibe im Osten. Wir brechen auf und folgen zunächst für eine Weile einem dieser langen Gassis, um uns wieder auf Kurs zu bringen.


Zoo Baba wollen wir nicht verfehlen. Die Oase mit seinen temporär bewohnten Zeribas fin-den wir auch ohne Karte. Eine unübersehbare Felsenformation im Osten kündigt sich bereits von weitem an. Die Zeribas selbst scheinen derzeit unbewohnt. Ohne viel Zeit zu verlieren verlassen wir diesen Platz und schlagen einen Bogen südlich um die Felsen herum, um dann wieder nach Norden einzuschwenken. Ganz wie uns von den drei Locals geraten wurde. Mittlerweile haben wir die steinigen Ausläufer eines Plateaus erreicht, welches in Nord-Süd-Richtung verläuft und uns nun bis Bilma begleiten wird. Zunächst sind es nur einzelne Zeugenberge, die uns die Orientierung erleichtern. Mit jedem Kilometer weiter nach Norden verdichten sich die Felsen und zwingen uns zu der einen oder anderen Querfeldeinfahrt über Geröll und vor allem über spitze Steine. Dazwischen meistern wir weiterhin die obligatorischen Dünenpassagen. In einer Senke beginnt der Motor des Toyotas plötzlich zu ruckeln und geht aus. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill. Alle halten wir gespannt den Atem an. Ich betätige die Zündung. Das Auto streikt. Schon wieder die Filter zugesetzt ?? Ich schaue auf den Kilometerstand und beginne zu lächeln. Etwa 650 Kilometer sind wir bereits unterwegs und wir stehen mit der Schnauze nach oben am Hang. Der Hecktank zeigt fast leer an, in dieser Position befinden sich jedoch die letzten Liter Treibstoff ganz hinten im Tank und die Pumpe zieht zwangsläufig nur noch Luft an. Ich schalte das Relais zum Haupttank um und bereits nach zweimaligem Orgeln springt der Motor wieder an. Glück gehabt ! In einem solchen Moment werden wir uns aber des Risikos einer solchen Solofahrt bewusst. Ein kurzer Dank gen Himmel und wir nehmen die nächste Passage im ersten Anlauf.

  Seit Zoo Baba finden wir auf unserem Weg immer wieder ver-einzelt Fahrzeugspuren. Je näher wir unserem Zielort Bilma kommen, um so mehr verdichten sich diese Spuren und bilden eine kleine Piste. Die letzten 50 Kilometer kommen wir flott voran und früh, viel zu früh erblicken wir die Palmerien der Oase Bilma. Geschafft !! Wir fahren in den Ort ein und halten auf das etwas erhöht liegende Fort zu, in welchem die Gendar-merie Nationale residiert. Der Wachhabende kommt aus dem Schatten eines Baumes im Hof auf uns zu. Er beäugt uns kri-tisch, geht einmal um das gesamte Fahrzeug herum, begrüßt uns dann mit Namen und fragt sofort nach den zwei mitreisenden Kindern. Die beiden schlummern derweil im Fond des Toyotas. Beruhigt reicht er mir ein Papier, auf welchem alle unsere in N´Guigmi hinterlassenen Personaldaten fein säuberlich aufge-schrieben standen. Die Kommunikation funktioniert – auch im letzten Winkel des Niger. Wir bedanken uns freundlich und lassen unsere Pässe abstempeln. Am Ortsende erblicken wir erstmals die sagenumwobene Ténéré. Schnell brausen wir hin-ein in die nächste große Sandsee. Wie immer auf der Suche nach einem neuen Abenteuer...







Text/Bilder: Ralf Beck, Februar 2000/Herbst 2001
Veröffentlichungen von Text und Bildern, auch in Auszügen, nur durch den Autor/Fotografen.

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